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Beitrag vom 14.05.2011
Von der Kunst, in Berlin zu leben - die Mai-Kolumne von Isabell Serauky
Isabell Serauky
Warum kommen eigentlich alle in diese Stadt? TouristInnen, ImmobilienmaklerInnen, Kreative, Geschäftsleute. Alle kommen und viele bleiben. Jede/r wittert die Chance, den ganz großen Wurf ...
... zu landen. Der gelebte Traum – vom Tellerwäscher zum Millionär – an den Ufern der Spree. Nur, was oft so spielerisch beginnt, hat schon bald seine perfiden Tücken.
Berlin ist ein raues Pflaster. Das wissen selbst die, die sich noch nie den scharfen Großstadtwind um die Ohren wehen ließen. Alles hier ist ein Kampf: Sich mit dem öffentlichen Nachverkehr von A nach B durchzuschlagen, den gemütlichen Restaurantbesuch nicht durch eine schnoddrige Bedienung ruinieren zu lassen, den täglichen Slalom um die Hundehaufen zu gewinnen und sich gegenüber den Ureinwohnern dieser Stadt zu behaupten.
Ich bin eine und weiß, wie sehr die Zugezogenen leiden.
Eine Freundin von mir wurde in Hamburg sozialisiert. Auch noch Jahre nach ihrer Ankunft kann sie den rauen Umgang nur mit Mühe und Haltung ertragen. Eine Fahrt in ihre hanseatische Heimat könnte für sie dagegen jedes Mal als Kurmaßnahme bei der Krankenkasse abgerechnet werden. Alles ist gesitteter– der Ton, das Tempo und selbst das Straßenbild. Urbane Wellnesseinheit.
Allein schon die Begegnung mit einem Berliner Busfahrer erfordert eine buddhistische Lebenshaltung, sonst kann sie zu einem sehr intensiven Lehrstück werden. Denn der Berliner Busfahrer ist stets mit originärem Berliner Mutterwitz ausgestattet, der nur für hartgesottene Gemüter tauglich ist. Andersherum, wenn man die Begegnung mit diesem Haudegen der Straßenschluchten nicht scheut, kann einem im Leben eigentlich nichts mehr umhauen. Survival of the Fittest!
Und dann die alles entscheidende Frage: Wo lasse ich mich mit meinen Siebensachen eigentlich nieder? Wenn in anderen Städten die Wohnungssuche nach streng logischen Gesichtspunkten erfolgt, ist es in Berlin eine ideologische Grundhaltung, die mit der Postleitzahl aufblitzt. Da hilft kein Reden um den heißen Brei:
Charlottenburg und Friedrichshain – Feuer und Wasser.
Kreuzberg und Mitte – Antagonismus der Spreekultur.
Marienfelde und Marzahn – ein Gleichnis Ost und West, aber keiner wagt es auszusprechen.
Jedem seine Kaste und wehe dem, der hier fahnenflüchtig wird!
Allein die PartnerInnenwahl kann schon an den falschen fünf Ziffern scheitern!
Als ob nun die Alt- und Neu-BerlinerInnen mit alledem nicht genug geschlagen wäre, kommen nun auch noch scharenweise begeisterte TouristInnen aus allen Ecken der Welt hierher und bevölkern jede Wiese und jeden Platz. Denn es hat sich rumgesprochen: Berlin ist preiswert, schläft nie und ist für jeden Spaß zu haben. Selbst die multikulti-kompatiblen KreuzbergerInnen muckten kürzlich gegen den massenhaften TouristInneneinfall in ihrem Kiez auf. Schließlich will "der Kreuzberger" selber für Multikulti sorgen und nicht von diesem heimgesucht werden!
Jede/r regt sich auf. Nörgelt rum. Aber keine/r will weg. Nein, es kommen mehr und mehr. Die Stadt wird dichter und dichter.
Denn sieht man mal von den drakonischen Erziehungsversuchen der Berliner Busfahrer ab, kann hier jede/r sein Ding machen. "Der Berliner" blubbert zwar im schlimmsten Fall, das war es dann aber auch. Und das mag auch das Geheimnis Berlins sein: Raue Schale, weicher Kern. Wenn man erst einmal auf diesen gestoßen ist, dann gibt es kein Halten mehr. Die Lebenslust entlang der Spree nimmt ihren Lauf.
Die Autorin Isabell Serauky ist Rechtsanwältin und arbeitet in einer Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg, www.jurati.de
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